Der Begriff der Freiheit ist in den letzten Jahrzehnten dem Wirtschaftsliberalismus überlassen und von der politischen Linken nicht ausreichend verteidigt worden. Im linken bis linksliberalen Spektrum könnte und sollte man jedoch entschiedener um die positive Besetzung des Freiheitsbegriffes ringen.
Als lang umstrittener politischer Wertbegriff leidet die Freiheit - ähnlich wie die Gerechtigkeit oder die Gleichheit - unter einer verwirrenden Vieldeutigkeit. Eindeutig und ungebrochen dagegen scheint die affektive Ausstrahlung des Wortes. Bei Nennung der Freiheit schlägt das Herz höher, auch wenn der Begriff dabei inhaltlich oft unbestimmt bleibt. Immer wieder nutzt politische Rhetorik die positive emotionale Kraft des Wortes, verspricht, mehr Freiheit zu wagen, Freiheit um jeden Preis zu verteidigen, Freiheit in ferne Länder zu tragen oder in die Steuerbescheide. Nicht immer meinen die Absender der Freiheitsbotschaft dann das Gleiche wie ihre verschiedenen Adressaten.
Politik der Bedeutung
Zum Beginn des Jahres 2009 spielt der Begriff allerdings auf der Ebene der öffentlich-massenmedialen politischen Debatte in Deutschland keine sehr prominente Rolle. Krise, Arbeit, Sicherheit, Klima, Konjunktur, Wohlstand und Gerechtigkeit stehen im Vordergrund. Die Kritik der Deregulierung und des Marktfundamentalismus der letzten Jahrzehnte kann nicht unter dem Banner der Freiheit vorgetragen werden, denn der Begriff ist in den letzten Jahrzehnten dem Wirtschaftsliberalismus überlassen worden und von der - breit verstandenen - politischen Linken nicht entschieden verteidigt worden. Das ist bemerkenswert, ging es doch in ihrer Tradition - insbesondere der „undogmatischen Linken“ einschließlich der grün-alternativen Bewegungen und Parteien - sehr lange und in verschiedenen Kontexten um Befreiung, Emanzipation, Selbstbestimmung und freies Leben. Dennoch hat man den Begriff von Protagonisten der Lehre des reinen Marktes besetzen lassen, deren wohlverdiente Unbeliebtheit heute auch dem Freiheitsbegriff eine Nachfragekrise beschert.
Man hat Begriffe, die öffentlichen Streitigkeiten um Interpretationshegemonie ausgesetzt sind, auch als „leere“ Signifikanten bezeichnet, doch das ist sprachtheoretisch nicht recht überzeugend. Auch eine an Sprachgebrauch und Kontext orientierte Bedeutungstheorie muss nicht die völlige Willkür semantischer Expansion und Transformation behaupten. Potenziell sind die Verwendungen des Begriffes vielfältig und kaum abschließend zu bestimmen und die Durchsetzung einer bestimmten Freiheitsinterpretation ist keine Sache semantischer Rationalität sondern politischer Kräfteverhältnisse im Auslegungsstreit. Doch die verschiedenen Bedeutungen sind nach einer bestimmten Logik miteinander verwandt. Um eine Art grobe Distinktionsmatrix verschiedener Freiheitsbegriffe zu erstellen, orientiert man sich am besten an einem jüngeren Debattenstrang philosophischer Begriffsanalyse, der um die Differenz zwischen negativer und positiver Freiheit kreist.
Negative und Positive Freiheit
Im Bedeutungsfeld der Freiheit bildet ein negativ bestimmter Begriff eine Art Kern, um den herum sich verschiedene positiv bestimmte Freiheitsbegriffe anordnen lassen. Individuelle Freiheit bedeutet in diesem Kernverständnis die Abwesenheit externer Hindernisse gegenüber einem gegebenen Interesse, Handlungs- oder Artikulationswunsch. Jemand will etwas tun, und wenn ihn nichts und niemand von außen daran hindert, dann ist er als frei zu betrachten. Je mehr unverstellte Optionen ein Akteur hat, und je freier seine Möglichkeiten von externer Intervention sind, desto größer sein negativer Freiheitsraum.
Positive Freiheitsbegriffe weichen in verschiedenen Dimensionen davon ab. Zunächst kann die Entstehung der Handlungswünsche in die Betrachtung mit einfließen. Bin ich beim Zustandekommen meines Willens frei oder fremdbestimmt, autonom oder manipuliert, Sklave meiner Leidenschaften, Objekt fremder Psychotechnik oder Herr meiner Bedürfnisse? Nur wenn Reflektion über Bedürfnisse stattgefunden hat und so etwas wie subjektive Kontrolle besteht, kann positive Freiheit oder auch „Autonomie“ zugeschrieben werden. Ein sehr reicher Bürger könnte z.B. ein schier unendliches Feld von rechtlich und finanziell unverstellten Handlungsoptionen haben, aber in seinen konkreten Entscheidungen von klug manipulierenden Beratern oder von inneren Leidenschaften getrieben sein. Man würde eine solche Person als frei im negativen, nicht aber im positiven Sinne betrachten. Im Alltagsgebrauch taucht derartige Unfreiheitskritik auch beim Sprechen über Suchtverhalten oder über Werbewelt und Konsumgesellschaft auf. Eine solche Kritik individueller Wünsche und Bedürfnisse wird vom Adepten negativer Freiheit als überheblich, paternalistisch oder gar repressiv betrachtet. Bei einer solchen Kritik gehe es nicht um Freiheit sondern um unterschiedliche Vorstellungen des richtigen Lebens. Der Anhänger eines positiven Freiheitsbegriffes betont, dass eine Welt unverstellter Optionen für den nichts wert ist, der Objekt innerer Zwänge oder äußerer Manipulation ist.
Ein positiver Freiheitsbegriff kann sich auch dadurch unterscheiden, dass er mehr als die Abwesenheit äußerer Behinderungen fordert. Denn eine Vielfalt unverstellter Möglichkeiten konstituiert noch kein freies Leben, wenn die Ressourcen fehlen, diese Möglichkeiten auch wirklich zu ergreifen. Jeder hat rechtlich die Möglichkeit ein Unternehmen zu gründen, doch vielen fehlen Kapital und Bildung. Sie sind im positiven Sinne nicht wirklich frei, eine Gründung zu realisieren. Freiheit ist hier durch einen Mangel beschränkt. Vertreter der negativen Freiheit mögen die Problematik anerkennen, weisen aber die Eingemeindung unter den Begriff der (Un-) Freiheit zurück. Es gehe dabei eher um Gerechtigkeit. Der Vertreter des positiv gefüllten Freiheitsbegriffes verweist wiederum auf die Wertlosigkeit solch eng gefasster Freiheit, polemisch etwa durch ihre Denunziation als „Freiheit, unter Brücken zu schlafen“.
Die Negativ-Positiv-Differenz kann sich auch auf die Weise beziehen, wie kollektiven Akteuren Freiheit zugeschrieben wird. Eng negativ bestimmte Freiheit fokussiert sich auf den Freiheitsraum der Individuen und definiert eine freie Gesellschaft in Abhängigkeit davon, ob und wie sie diesen schützt und respektiert. Ein positiver Freiheitstheoretiker ist dagegen erst dann bereit, eine Gesellschaft frei zu nennen, wenn ihre Mitglieder über demokratische Teilhabe an der Selbststeuerung der Gesellschaft und ihren kollektiven Entscheidungsprozessen mitwirken. Sie wird auch die Individuen erst dann wirklich frei nennen, wenn sie sich daran beteiligen. Da ihr Leben gesellschaftlich und politisch eingebettet ist, können sie nur frei genannt werden, wenn sie an gesellschaftlichen und politischen Willensbildungsprozessen teilnehmen. Ein - rousseauistisches - Extrem dieser Position ordnet die individuell negative Freiheit der positiven, über die Mitgliedschaft im Kollektiv gewährleisteten Freiheit unter. Diese Gefahr begründet die Skepsis des negativen Freiheitstheoretikers gegenüber einer solchen Ausdehnung des Begriffs. Der Purismus der negativen Freiheit rechtfertigt sich meist nicht durch semantische Stringenz sondern durch die Angst vor dem Missbrauch autoritärer „Befreiungs“-Ideologien.
Gebietsverluste im Feld der Freiheit
In diesem – hier nur grob skizzierten - semantischen Feld spielt sich der politische Interpretationsstreit zur Freiheit ab. In der deutschen öffentlichen Debatte dominiert derzeit ein negativer Freiheitsbegriff. Sowohl der Marktfundamentalismus als auch die bürgerrechtliche „Freiheit“ der Überwachungs- und Datenschutzproblematik meinen die Freiheit von staatlicher Intervention. Im linken bis linksliberalen politischen Spektrum könnte man aber gemäß der Traditionen entschiedener um die Besetzung des Freiheitsbegriffes durch positive Elemente ringen. Ein potenziell mobilisierendes Freiheitspathos sollte keineswegs den Steuersenkern überlassen werden.
Man könnte insbesondere die Voraussetzungen für eine selbstbestimmte, freie Lebensführung in den Fähigkeiten und Ressourcen der Individuen betonen. Zu einer solchen freien und selbstbestimmten Lebensführung müssen sie durch starke öffentliche Institutionen, materielle Sicherheit und kulturelle Praxis erst befähigt werden. Staatliche „Intervention“ ist also für die Freiheit der Mehrheit konstitutiv, was Fragen zur ihrer konkreten Ausgestaltung natürlich noch nicht entscheidet. Der Gedanke aber, dass reale und gleiche Freiheit für alle nur durch eine starke öffentliche institutionelle Hand, durch Bildungs-, Wirtschafts-, Sozialpolitik und materielle Sicherungssysteme zu ermöglichen ist, kommt in der öffentlichen Freiheitsrhetorik derzeit zu kurz.
Die Ausstattung mit positiven Ressourcen für ein selbstbestimmtes Leben - etwa durch eine auf Chancengleichheit ausgerichtete Bildungspolitik - würde das Problem gleicher Freiheit außerdem noch nicht erledigen. Denn wenn gleiche Freiheit nur am Ausgangspunkt eines gesellschaftlichen Wettbewerbs um Positionen gewährleistet ist, an dessen Ende die Spielregeln aber dazu führen, dass nur Wenige gewinnen, dann bleibt für die meisten im Ergebnis von der Chancengleichheit nur ein unrealisiertes Freiheitspotenzial. Hier grenzt die Forderung nach Freiheit für alle an Fragen der Verteilungsgerechtigkeit und der Wirtschaftsdemokratie. Wenn Freiheit wirklich für alle Bürger etwas wert sein soll, dann ist der Ruf nach mehr Freiheit in der Gesellschaft unvereinbar mit einer starken Schichtung in kleine privilegierte Besitz- und Entscheidungseliten und breite, rhetorisch aus dem Kreis der „Leistungsträger“ ausgewiesene, letztlich fremdbestimmte Mittel- und Unterschichten.
Eine aus links-emanzipatorischen Traditionen kommende Rhetorik könnte darüber hinaus heute in der Krise der Demokratie durch transnationale ökonomische Dynamik und politische Apathie auf den Freiheitsverlust hinweisen. Gegen die Pathologien von entfesselter Globalwirtschaft und Finanzsystem könnte man neben Gerechtigkeitsempfinden und Sicherheitsbedürfnis auch eine wohlverstandene demokratische Freiheit in Stellung bringen. Auch dieser Aspekt wird in der derzeitigen öffentlichen Verwendung des Freiheitsbegriffs in Deutschland nicht bewusst.
Grüne Freiheit und das “erschöpfte Selbst“
Ein auf diese Art artikulierter, positiv bestimmter und kritisch verwendbarer Freiheitsbegriff wäre dem grünen Wertehorizont angemessen, denn eine Ethik des freien, selbstbestimmten Lebens war im Gründungsprozess der grünen Partei von großer Bedeutung. Die neuen sozialen Bewegungen, der antiautoritäre Impuls, das große Gewicht auf innerparteilicher Demokratie, selbstorganisierte Stadt-, Sozial- und Kulturpolitik, die starke Anbindung an zivilgesellschaftliche Aktivität, die Zielvorstellungen von Empowerment bei frauen- und minderheitspolitischen Themen... - all das ist bestimmt von einem positiven Freiheitsethos der Selbstbestimmung, der Autonomie, der Befähigung und der politischen Teilhabe. Dass aus einem solchen Ethos kein strikter Anti-Etatismus oder Libertarismus folgt, wie Teile der Grünen in ideologischer Kurzschlussreaktion vorübergehend glaubten, ist inzwischen wohl klar geworden. Dem - in den USA korrekt auf der politischen Rechten angesiedelten - Libertarismus geraten die Voraussetzungen zur selbstbestimmten Tätigkeit von Individuen und selbstorganisierten Gruppen durch öffentliche Institutionen aus dem Blick, er begünstigt die Privilegierten. Die Grünen aber meinten mit dem selbstbestimmten Leben immer potenziell das freie Leben aller, nicht die Interessen eines Milieus.
Was allerdings die gesellschaftliche Resonanz für solche Vorstellungen betrifft, muss man eine gewisse Verschiebung zur Kenntnis nehmen. Das positive Freiheitsethos ist heute auch in grünen Milieus nicht mehr ungebrochen. Prekarisierung und Flexibilisierung des Arbeitsmarktes sowie die rhetorische Verbrämung von Sozialstaatskritik durch den Begriff der Eigenverantwortung haben eine neue Sensibilität für die Ambivalenz von Selbstbestimmung hervorgebracht und einen relativ neuen kritischen Diskurs, der das selbstbestimmte Leben aus einer anderen Perspektive sieht. Es gerät hier in die Nähe einer Herrschaftstechnik, eines Freiheitsimperativs in postindustriellen, durch Kreativberufe bestimmten Milieus und degeneriert zu einem Selbstoptimierungsappell, der letztlich durch Konkurrenz auf Arbeitsmärkten und wirtschaftliche Verwertung motiviert ist. Schnell kann die Freiheit dann zur Überlastung werden und in steigendem Maße das Scheitern von Selbstbildern und Lebensmodellen hervorbringen. Das „erschöpfte Selbst“ der Depression löst die Neurose als vorherrschende Pathologie der Psyche ab.
Diese dunkle Kehrseite des emanzipierten Lebens muss eine Ethik positiver Freiheit heute im Blick haben. Dass es gerade grüne, postalternative Milieus sind, die einer solchen Ethik anhängen, erscheint dann nicht mehr als besonders weitsichtige und wohlwollende Innovation einer Avantgardepartei sondern als soziologisch erwartbare Weltanschauung in den Milieus postindustrieller Arbeitsformen, Ausbildungen und Kompetenzen. Die Alternativbewegungen und grünen Parteien rekrutieren sich bis heute überdurchschnittlich aus solchen Milieus. Ihre Lebensformen artikulieren sich in einer positiven Freiheitsethik. Eine Reflektion der Bedingungen unter denen selbstbestimmtes Leben heute stattfindet und seiner möglicher Pathologien, entwertet den Ansatz der Befähigung aller zur Freiheit nicht prinzipiell. Es erinnert ihn aber in neuem Kontext daran, dass man zur Freiheit nicht zwingen kann.
Literatur:
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Gorz, Andre; „Das Subjekt steht links. Die Perspektive der Befreiung.“ In What´s Left?Prognosen zur Linken. Berlin 1993;
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Obermauer, Ralph: „Dreidimensionale Freiheit. Zum Freiheitsbegriff bei Theodor W. Adorno und Cornelius Castoriadis.“ in: Deutsche Zeitschrift für Philosophie, 6/2005.
Ryan, A. (Hg.), The Idea of Freedom, Oxford 1979;
Pelczynski, Z. & John Gray (Hg.), Conceptions of Liberty in Political Philosophy, London 1984.